Generation 68 – Wie alles begann!

Foto: Eclaire Luzolo Luanzambi 

Das bin ich! Gerlinde Hauschild, geboren 1958. Initiatorin von Generation 68 – Rheine. Ich sitze vor meinem Laptop und schreibe meinen ersten Block. Mein Erster! Ich gebe zu, es fällt mir nicht leicht. Ich fühle mich unsicher. Finde ich die richtigen Worte? Schreibe ich alles richtig oder mache ich Fehler? Bringe ich die Inhalte richtig rüber? Gestatte ich mir Fehler?

Es ist bereits mehr als zwei Jahre her. Ich saß als sachkundige Bürgerin im Sozialausschuss und folgte gespannt den Ausführungen von Herrn Woltering. Herr Woltering ist Mitarbeiter der Stabsstelle Sozialplanung des Kreises Steinfurt und berichtete dem Sozialausschuss über die Fortschreibung der kommunalen Pflegeplanung des Kreises Steinfurt.

Was bedeutet kommunale Pflegeplanung? Ich hatte keine Ahnung!

Nun, ich erfuhr während dieser Sitzung einiges!

Für die 24 Städte und Gemeinden des Kreises Steinfurt, werden in der kommunalen Pflegeplanung konkrete Zahlen über die Altersstruktur der Bevölkerung, Pflegeeinrichtungen, Altenwohngemeinschaften, ambulante Pflege und der Tagespflege dargelegt.

Die Ausführungen von Herrn Woltering beeindruckten und besorgten mich ungemein.

Auf den Punkt gebracht:

In den nächsten Jahrzehnten wird der Bevölkerungsanteil alter Menschen stark steigen. Schon jetzt gibt es bundesweit zu wenig stationäre und ambulante Betreuungsmöglichkeit. Es fehlt Fachpersonal und es fehlen altengerechte Wohnungen. Pflegende Angehörige, eine große Säule in der häuslichen Pflege, wird es zukünftig auch weniger geben. Die pflegenden Angehörigen werden selbst pflegebedürftig. Es kommt jedoch proportional zum zukünftigen häuslichen Pflegebedarf nichts mehr nach. Es gibt schlichtweg keine Angehörigen mehr, die pflegen könnten.

Die Rahmenbedingungen für die Altenpflege sind denkbar schlecht und werden zukünftig noch schlechter werden!

Desaster Altenpflege

Mir wurde bewusst, Deutschland steuert auf ein Desaster in der Altenpflege zu. Dieses Desaster macht nicht vor der Grenze des Kreises Steinfurt und auch nicht vor Rheine halt.

Werteverschiebungen in unserer Gesellschaft, demografischer Wandel, wenig Kinder, auf der ganzen Welt verstreute Familien, kleinere Renten und mangelndes Geld, Fachkräftemangel, stellen die Altenbetreuung bereits jetzt vor schwierige Aufgaben.

Fachkräftemangel

Ich machte mich auf und recherchierte. Bereits vorhandene Pflegeeinrichtungen und ambulante Dienste sind schon heute personell unterbesetzt. Arbeitskräfte in den Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten sind häufig an ihrer Belastungsgrenze. Immer mehr Menschen entschließen sich, aus dem Beruf auszusteigen oder ihn gar nicht erst zu wählen. Es besteht ein Fachkräftemangel, der seit Jahren diskutiert und sich zukünftig noch vergrößern wird. Es ist erkennbar, jedoch ändert sich nichts!

Ich stellte mir die Frage, wie die Altenpflege zukünftig sein wird. Welche Pflege wird es in einigen Jahren für mich geben?

Noch zähle ich zu den jungen Alten. Noch betrifft es mich nicht! Doch wie wird die Pflege zukünftig aussehen, wenn ich sie brauche? Was, wenn das Geld nicht reich? Was, wenn der Staat nicht mehr ausreichend unterstützt? Was, wenn meine Kinder herangezogen werden? Was, wenn ich meine Eigenständigkeit aufgeben muss? Was, wenn es einfach nicht anders geht? Werde ich allein sein? Wie wird mein Alter aussehen?

Schleichend stieg ein Unbehagen in mir hoch. Langsam kroch es, von den Füßen, in meine Beine, in meinen Bauch, in meine Arme, in mein Herz, in meinen Kopf. Ein elendiges Kopfkino flimmerte ungewollt vor meinem geistigen Auge. Ich bekam keine Luft mehr. Ich wurde unruhig, ich bekam Angst!

Filmklappe

START Kopfkino

Pflege ein Luxusgut?

Wenn wir heute schon zu wenig unterstützende Menschen für uns Alten haben, wie wird es dann zukünftig sein? Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Das zeigt sich in der Wirtschaft. Zuletzt konnten wir es bei der Maskenbeschaffung zu Beginn der Coronapandemie feststellen. Die Menschen benötigten weltweit Masken, doch es gab kaum welche. Der Preis stieg. Masken wurden zum Luxusgut.

Was ist, wenn Pflege zum Luxusgut wird?

Eines Tages suchen sich Altenpfleger ihre Kunden aus? Werden dann auffällige, fordernde, nach Selbstbestimmung strebende Patienten als schwierige Patienten gelten?

Werden Hilfebedürftige in A-B-C-Klassen unterteilt? Gut situierte, umgängliche alte Menschen mit Angehörige kommen in Klasse A?

Welche Eigenschaften wären dann wohl B und C zugeordnet?

Ich glaube, ich werde in die Klasse B eingestuft. Wegen meines Strebens nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit: 😉

Werden verstärkt wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen? Werden hilfebedürftige, alten Menschen eine menschenwürdige Betreuung finden?

Oder muss der pflegebedürftige Mensch auf seinem letzten Stück Lebensweg gegebenenfalls angepasst und artig sich selbst verleugnen?

Und ist er es nicht? Bekommt er dann keine liebevolle Unterstützung oder muss dann mehr dafür bezahlt werden?

Auf dem Weg in eine Klassengesellschaft?

Nach meiner Meinung befindet sich Deutschland, was die (Alten-)Pflege betrifft, auf dem Weg in eine Klassengesellschaft, in der nur noch Alte gut versorgt sind, die es sich leisten können oder vom Familienverbund getragen werden. Angehörige sind bereits jetzt eine erhebliche Entlastung für die Pflegefachkräfte. Sie reichen Essen, verbringen Freizeit mit ihrem Lieben, sorgen für liebevolle Zuwendung, nehmen Angst und bereiten Freude.

Alleinlebende oder schwierige Patienten ohne Angehörige sind schlechter gestellt, denn für individuelle Zuwendung fehlt dem Fachpersonal einfach die Zeit.

Wir leben im ländlichen Raum

Vor besonderen Herausforderungen stehen Hilfebedürftige mit ihren Angehörigen im ländlichen Raum, die fern der nächsten ambulanten Pflegestation wohnen. Hier kann nicht immer auf eine Unterstützung gebaut werden. Wir müssen uns diesen Umstand vor Augen führen. Wird sich die Situation verschlechtern oder verbessern? Der Kreis Steinfurt ist ländlicher Raum.

Kopfkino ENDE 

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Gesellschaft und Politik

Ein Fehlen an Solidarität und fehlenden politischen und gesellschaftlichen Konzepten braut sich zu einer gesamtgesellschaftlichen Katastrophe zusammen.

Das Thema „Alter“ wird elegant vermieden. Umschreibungen wie 60+, 70+, „Hochbetagte“, „Die neuen Alten“; „Die jungen Alten“ haben in unserer Sprache Einzug gehalten. Niemand möchte als »alt« oder Senior*in bezeichnet werden. Ein gesellschaftliches Problem, da Erfahrungen und Meinungen von Älteren kaum wertgeschätzt werden. In unserer Gesellschaft gilt Alter als unproduktiv und lästig. Nach meiner Meinung wird „Alter“ kollektiv verdrängt und höchst theoretisch behandelt und diskutiert. Es steht nicht ganzheitlich der Mensch mit seiner Lebenserfahrung im Mittelpunkt, sondern Kosten, Abläufe und Gewinnorientierung und ein hipper Lebensstil.

Alte Menschen haben keine Lobby

Lobbyarbeit erfolgt so gut wie gar nicht. Sozialverbände melden sich mahnend zu Wort, es werden Altenberichte erstellt, runde Tische gebildet, jedoch kommt praktisch wenig dabei herum. Kaum eine Kommune geht das Problem aktiv an. Papier ist eben geduldig. Und diejenigen, die es betrifft, können, wenn sie betroffen, sind nicht mehr protestieren.

Darum entschloss ich mich, Generation 68 ins Leben zu rufen. Nicht nur reden, sondern auch handeln.

Als Initiative gestartet, fanden sich schnell Mitstreiter*innen, um einen Verein zu gründen. Es wurde eine Satzung erstellt und eine im Coronazeiten vertretbare Gründungsveranstaltung durchgeführt.

Am 2. Dezember 2020 traf der Bescheid nach § 60 a Abs. 1 AO über die gesonderte Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach §§ 51, 59, 60 und 61 AO für neu gegründete Körperschaften ein.

Kurz, wir sind jetzt vom Finanzamt Steinfurt als gemeinnützig anerkannt und können für Spenden auch Spendenbescheinigungen ausstellen.

Wir freuen uns über → Spenden, denn wir sind neu und benötigen das Geld 😉

Wenn Ihr mehr über die derzeitige und zukünftige Situation der Betreuungsmöglichkeiten im Kreis erfahren wollt, hier die Altenberichte 

Link zum aktuellen Altenbericht (PDF).

Herzliche Grüße

Gerlinde Hauschild

2 Kommentare

  1. Ich bin erstaunt, wie einfach Sie anscheinend Mitstreiter gefunden haben. Ich habe 20 Jahre in Westerkappeln eine Pflegeeinrichtung geleitet. Wir haben und von Beginn an um Ehrenamtliche bemüht, infoveranstaltungen, Fortbildungen durchgeführt, eine Sozialarbeiterin als Ansprechperson freigestellt (also insgesamt viel Zeit und Geld für das Anwerben von Ehrenamtlichen aufgewendet) und doch war der verlässliche Kreis nie größer als 15 Personen.
    Ich bin nun im Ruhestand und finde Ihre Initiative klasse!
    Ich versuche gerade im Sozialausschuss etwas ähnliches zu initiieren. Darum noch mal meine Frage: wie ist es Ihnen gelungen Mitstreiter zu finden und wieviele sind Sie?

    • Sehr geehrter Herr Schönhoff, das Geheimnis unseres Erfolges scheint unsere Unabhängigkeit zu sein. Generation 68 macht sich nicht abhängig von irgendwelchen Gremien oder Trägern. Meine Erfahrungen zeigten immer wieder, dass die Wege durch politische Gremien und Verwaltung zu lang sind und von Mehrheiten abhängig sind. Dies ist nicht zum Vorteil der Betroffenen. Kurze Wege, Unabhängigkeit, klare, einfache, flache Strukturen, persönliche Ansprache von Menschen, Mund zu Mund Propaganda lässt bei uns Menschen zusammenkommen, die sonst nicht in Erscheinung treten würden.

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